Nachdem es hier bereits schon einige Spotterberichte vom neuen Hamburger Trendziel "Flughafen Brüssel" gab, will ich nun mal zuerst von meinem Besuch in der Stadt selbst berichten.
Mir war gar nicht so nach Abenteuerurlaub, aber in den Tagen vor meiner Abfahrt nach Brüssel beschlich mich der Eindruck, dass es genau das werden könnte. Nachdem mein Mitbewohner ein eher heruntergekommenes Bild der Stadt skizziert hatte und sich die Terroranschläge vom Frühjahr ebenfalls nicht ganz verdrängen ließen, riskierte ich einen Blick auf die Reise- und Sicherheitswarnungen. Bei den skandinavischen Ländern steht da nichts verstörendes, allein bei Reisen nach Grönland warnt das Auswärtige Amt vor dem arktischen Extremklima. Für Belgien prophezeite die Seite jedoch Sicherheitsstufe vier von fünf und verstärkte Sicherheitskontrollen durch Polizei und Militär. Zugleich sollte man größere Menschenansammlungen meiden und besonders in der Nähe von Touristenattraktionen und im Bereich des Nordbahnhofs (mein Ziel) vor Taschendieben auf der Hut sein.
Die Krone setzte dem Ganzen aber mein Kumpel vor Ort auf, den ich in seiner Praktikumszeit dort besuchen wollte. Auf meine vorsichtigen Nachfragen hin, deutete er an, dass wir auf dem Weg zu seinem Zimmer durchs Drogen- und Rotlichtviertel gehen müssten. Samstagmorgens sei das allerdings entspannt, weil dann der Burkamarkt stattfände. Insgesamt sei es dort düsterer als im Hannoveraner Ihme-Zentrum und nächtlichen Prag zusammen. Immerhin: Bei Google-Streetview schien die Gegend noch ganz erträglich zu sein. Allerdings stürzte Firefox nach wenigen Schritten ab - die erträglichen 200 Meter, wie man mir später erklärte. Mein Lichtblick, dass die Stadt ja immerhin Hauptsitz der Europäischen Union sei, wurde jäh mit dem Hinweis auf die leicht abgekapselte Lage des EU-Viertels zunichte gemacht. Zu allem Übel war meine schusssichere Weste gerade in der Reinigung. Na toll.
Ich bestieg meinen ICE International von Köln nach Bruxelles Gare du Nord an einem verregneten Samstagmorgen mit entsprechend niedrigen Erwartungen. Andernfalls hätte ich mich am Nordbahnhof auch gesträubt auszusteigen. Man sagt, in Belgien werden die Dinge solange genutzt, bis sie auseinanderfallen. Diese Hypothese bestätigte sich gleich zu Beginn meiner Feldforschung, als ich aus der ICE-Tür heraus, dem morbiden Charme der Station entgegenstolperte. Nachdem ich mein Reisegepäck abgelegt hatte, zogen die Wolken langsam ab und wir los - ins Stadtzentrum.

Brussels by Kingsley Shacklebolt, auf Flickr

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Sehr bald musste ich feststellen, dass Brüssel gar nicht so übel ist, wie befürchtet. Da ist etwa zum Beispiel der Grand Place, der mich, mit seiner barocken und teilweise vergoldeten Fassadenfront, beeindruckte. Auch an weiteren Stellen tauchten immer wieder eindrucksvolle Gebäude auf, wie die Börse, der Justizpalast und die Kathedrale St. Michael und St. Gudula. Oftmals war die hübsche Architektur dann aber umzingelt von den Bausünden vergangener Jahrzehnte. Es galt also, sich die Rosinen herauszupicken. Doch manchmal hatten auch die schmuddeligeren Ecken ihren Charme, etwa dann, wenn die Comicfiguren Tim und Struppi mal wieder überlebensgroß auf die Fassaden gepinselt worden waren.

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Fast jede Stadt hat gewisse Touristenhighlights, die man sich schenken könnte. Für mich war das in Brüssel eindeutig das berühmte Manneken Pis. Die kleine Bronzestatue von 1619 wurde über die letzten Jahrhunderte mehrfach gestohlen, sodass dort heute nur noch eine Kopie steht. Dabei präsentiert es nicht immer seinen stählernen Körper. Rund 850 Kostüme existieren und werden dem kleinen Knilch zu Anlässen wie Fußballspielen der belgischen Nationalmannschaft oder den Geburtstagen von Mozart und Elvis Presley übergestülpt. Die große Traube von Touristen, die sich an dieser unscheinbaren Straßenecke bildete, deutete schon auf eine Attraktion hin. Mich konnte das Männlein aber nicht vom Hocker hauen, vielmehr hatte es mir die Szene als solche angetan.

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Dem Ausblick vom Parkhaus "Parking 58" konnte ich hingegen deutlich mehr abgewinnen. Von hier sah man unter anderem das Atomium und die Nationalbasilika des Heiligen Herzens am Stadtrand. Während das Atomium für Sonntag noch auf dem Programm stand, verzichteten wir auf einen Besuch in der Nationalbasilika. Denn auch so verstrich die Zeit ungeheuer schnell und die zahlreichen (teilweise sehr hippen) Cafés und Bistros lockten uns immer wieder an - allein schon deswegen, weil mein Kumpel Erik rund um die Uhr Kaffee trinkt. Aber es hat auch was, wenn man am Fenster sitzt und das geschäftige Treiben einer Großstadt beobachten kann. Man will ja auch nicht den ganzen Tag durch die Stadt hetzen, nur um alle Sehenswürdigkeiten abzuhaken.

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Ein Café, das wir allerdings nur ganz kurz wegen seiner Aussicht aufgesucht haben, liegt auf dem Kunstberg oder Mont des Arts, wie er auf Französisch genannt wird. Im Zentrum steht dort der Platz mit seiner Gartenanlage. Rundherum befinden sich zahlreiche Museen, etwa das Königliche Museum der schönen Künste, das Museum BELvue oder das Musikinstrumente-Museum. Letzteres war für uns interessant, denn auf dem Dach und frei zugänglich liegt das angesprochene Café. Dort oben herrschte viel Betrieb, sodass wir nur einen kurzen Fotostopp einlegten und dann unseren Stadtrundgang fortsetzten.

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Belgien spielt kulinarisch ganz weit vorne mit. Das glauben zumindest die Belgier. Anders kann ich mir die zahlreichen Waffel- und Schokoladenläden nicht erklären. Letztere erschienen mir mit ihren Schokoladen-Sparpaketen (Anm. d. Red.: verschiedene Packungen belgischer Schokolade wurden gebündelt verkauft) und den knallig bunten Schaufenstern eher eine Touristenfalle zu sein. Auch die belgische Waffel konnte mich nicht in Ekstase versetzen. Wie Queen Elizabeth II. vermeide ich alles, was diffizil zu essen ist - mit Scampi kann man mich also jagen. Ähnlich verhielt es sich mit der Waffel. Auch wenn die flüssige Schokolade obendrauf von der Idee her gut ist, endete das Ganze für mich in einem schokolativen Waterloo.
Aber egal, eine Freundin gab mir vorher den Tipp, mich einfach mit belgischen Fritten und belgischem Bier durchzuschlagen. Und das, liebe Leserinnen und Leser meiner Fitnesskolumne, ist tatsächlich empfehlenswert. An einer beliebten Frittenbude im Zentrum erhielten wir sogar noch ein Soßenberatungsgespräch, als der Verkäufer herausfand, dass wir nicht nur Deutsche waren, sondern auch in Bremen studiert haben. Offenbar kannte er Bremen und mochte es. Na, ich wollte da mal nicht widersprechen.
Noch spannender war allerdings unser abendlicher Besuch im Delirium, einer riesigen Kneipe, wo es drölfhundert Sorten belgisches Bier gab. Schon gegen sieben war es rappelvoll, sodass wir nur mit Mühe einen Platz fanden, um preisgekrönte Biere mit Namen wie "La Guillotine", "St. Idesbald" oder "Delirium" zu probieren (für die Forschung!). Irgendwann verlangte ich jedoch nach mehr schmissiger Musik und das haben die Iren eindeutig besser drauf. Und so verkehrt sind die Getränke im Irish Pub ja auch nicht...

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Auch der Sonntag stand ganz im Zeichen eines ausgedehnten Stadtrundganges, um das EU-Viertel zu erreichen. Schon auf dem Weg dorthin gab es zahlreiche nette Fotomotive, wie den königlichen Palast. Leider vereitelte das Gegenlicht jegliche Aufnahmen davon. Ähnlich war es beim Europäischen Parlament und der protzigen Bayerischen Vertretung. Zugleich wurde einem dort auch die angespannte Sicherheitslage bewusst, denn überall patrouillierten schwer bewaffnete Polizisten. Wir zogen also weiter zum Schuman-Platz, wo die Kommission ihren Sitz hat. Dahinter erstreckte sich dann der Jubelpark mit dem Triumphbogen.

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Das letzte Ziel unserer gemeinsamen Kaffeefahrt verlangte dann nach einer halben Weltreise mit der Straßenbahn: das Atomium. Gebaut wurde es zur Expo '58 und stand damals für den Beginn des Atomzeitalters sowie die zivile Nutzung der Kernenergie. Wir verzichteten nach einigen ernüchternden Berichten auf einen Besuch im Inneren. Bei diesem wundervoll sonnigem Wetter fand ich es eh interessanter, das eigenwillige Gebilde von außen zu betrachten. Mich hat dieses Bauwerk mit seinen stählernen Kugeln tatsächlich sehr fasziniert.

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Mit selbstgemachtem Sushi endete dann auch mein zweiter Tag in der belgischen Hauptstadt. Es folgte eine fast schlaflose Nacht auf meiner dünnen Isomatte, denn meine Schultern drückten ob des ungewohnt harten Untergrunds ihr Missfallen aus. Am nächsten Morgen wachte ich aber nicht nur mit der Erkenntnis auf, dass ich zu alt für den Scheiß bin, sondern auch mit zahlreichen Fragen. Wie haben die Wanderarbeiter im Suff die steile Treppe in den ersten Stock bewältigen können? Warum buk einer Kuchen? Und wieso musste jemand in aller Herrgottsfrühe unsere Zimmertür mit dem Badezimmer verwechseln? Wie ich den Montag dennoch in meinem derangierten Zustand am Airport überstand, kann man in einem separaten Beitrag nachlesen.
Insgesamt fällt mein Fazit sehr positiv aus. Meine Erwartungen an die Stadt waren nicht sonderlich hoch. Tatsächlich habe ich diesen Kurztrip und Brüssel aber sehr genossen. Man musste sich darauf einlassen, dass in Brüssel Alt und Neu, Schön und Hässlich, Reich und Arm oft dicht beieinander lagen. So gab es viel Armut im Zentrum zu sehen. Bettelnde Kinder, Obdachlose, die in den großen Kirchenportalen ihr Nachtlager aufschlagen - das ambivalente Bild der Stadt setzte sich auch hier fort. Auf der anderen Seite strahlte die Innenstadt eine große Gemütlichkeit aus. Nicht nur der Boulevard Anspach, wo eine mehrspurige Straße zur Fußgängerzone wurde, sondern auch die kleinen Seitenstraßen mit ihrem Kopfsteinpflaster und den zahlreichen Cafés und Geschäften hatten ihren Reiz.
Das wars von meiner Seite dazu. Vielleicht konnte ich ja den ein oder anderen dazu bringen, mal über einen Besuch in der Innenstadt nachzudenken.

Viele Grüße
Sören