Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

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Timur
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Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von Timur »

Nach dem jüngsten Crash einer noch sehr neuen ATR in Taiwan stelle ich mir die Frage, ob die ATR Turboprops im Verhältnis zu Q400 und den meisten Jets unsicherer sind.

Laut Wikipedia hat es seit 1994 8 Totalverluste durch Abstürze von ATR 72 gegeben. Und wenn ich es richtig sehe auch 3 Totalverluste durch Abstürze bzw missglückte Landungen bei der ATR 42.

Ebenfalls laut Wikipedia ist jedoch lediglich eine einzige Q400 abgestürzt.
Schwere Unfälle mit der EMB 135/145 Familie gab es anscheinend gar nicht.

Ich habe mehrfach gelesen, dass die ATR ein verhältnismäßig schwer zu fliegendes Flugzeug bzw. verhältnismäßig schlechte Flugeigenschaften habe (insbesondere im Vergleich zur Q400).

Stimmen meine Eindrücke? Kann jemand mehr hierzu sagen?
spotteralex
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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von spotteralex »

also in den letzten 3 Jahren sind vier ATRs durch Abstürze beim Take Off oder Go Around verloren gegangen. Ist also nicht unbegründet... Für mein Gefühl haben die Flieger nicht so viel Power, sodass es bei Problemen schneller kritisch werden kann. Ahnung hab ich davon allerdings nicht, kann das jemand bestätigen?
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DC1030
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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von DC1030 »

Wenn man "Absturz-Zahlen" postet und davon die Sicherheit eines Flugzeugtyps ableitet, sollte man auch dazu schreiben wieviele jeweils von den ATR's und den Dash's auf dem Markt sind. Sonst sagen solche Zahlen gar nichts. Man muss das ja im Verhältnis sehen.

Von den Q400's wurden ca. 485 gebaut
Von den ATR's wurden ca. 1230 gebaut

Das heißt auf jede abgestürzte Dash könnten fast drei abgestürzte ATR's kommen und die Quote würde gleich bleiben.

Oder noch ein anderes Beispiel: Wenn man die Anzahl der Flugstunden heranzieht, dann ist die DC-10 sicherer gewesen als die B747. Obwohl selbst "Normalos" die DC-10 damals als unsicheres Flugzeug wahrgenommen haben. Aber die DC-10 Abstürze haben einfach mehr polarisiert.

Alles eine Frage der Statistik und der Wahrnehmung.

Ob die ATR wirklich schwieriger zu fliegen ist, würde mich aber auch mal interessieren.
Gruß, Thomas

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Taliesin
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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von Taliesin »

Timur hat geschrieben:Nach dem jüngsten Crash einer noch sehr neuen ATR in Taiwan stelle ich mir die Frage, ob die ATR Turboprops im Verhältnis zu Q400 und den meisten Jets unsicherer sind.
Ich finde deine Betrachtung extrem oberflächlich. Dass du nicht auf die Anzahl der gebauten Flugzeuge eingehst wurde ja schon erwähnt.

Eine weitere wichtige Komponente ist das Einsatzgebiet. Wenn man sich mal die Liste der Betreiber anguckt, dann fällt auf, dass die größten Betreiber der Dash 8 mit Air Canada Express, Flybe, Horizon, Piedmont und Windroe in Westeuropa oder Nordamerika sitzen.
Es ist etwas völlig anderes, ob ich ein Flugzeug in Westeuropa oder Nordamerika betreibe, wo es im schlimmsten Fall im Winter mal etwas glatt auf der Piste ist, oder ob ich in einem Gebiet fliege, in dem zwei mal im Jahr für ein paar Monate Hurricane-Saison ist, wie in Südost-Asien. Ganz nebenbei sind auch die Strukturen und Mentalitäten anders. In vielen asiatischen Ländern herrschen Mentalitäten, die die Implementierung von modernem CRM sehr schwer machen. Das ist dann ein bisschen wie bei uns in den 60ern, wo der Kapitän ein kleiner König in seinem Reich ist, der jeden fertig macht, der ihn schief anguckt.

Außerdem schiebst du jeden Absturz dem Flugzeug in die Schuhe. Es zeigt sich aber ein relativ klarer Trend dahin gehend, dass Flugzeuge immer besser und Piloten immer schlechter werden. Egal ob man sich AF447, die polnische TU-154, Colgan Air 3407 oder Asiana 214 anguckt, fast immer spielen haarsträubende Pilotenfehler eine Rolle.
Beim Absturz der Air Asia A320 scheinen sich schockierende Parallelen zu AF447 heraus zu kristallisieren. Beim TransAsia Crash gibt es jetzt das ganz fiese Gerücht, dass die Piloten das falsche Triebwerk abgestellt haben.

Eine ATR wird zertifiziert wie jedes andere Flugzeug auch, das heißt dass auch ein Triebwerksausfall nach dem Start nicht zu einem Absturz führen darf. Das setzt aber voraus, dass die Piloten schnell und richtig handeln. Dafür werden sie geschult und dafür kriegen sie ihr Geld, aber wenn sich Piloten nicht an die Standardprozeduren halten, oder trotz im Cockpit sitzendem Instructor das falsche Triebwerk abgestellt wird, dann kann das Flugzeug da auch nicht viel für.

Das ist bei den letzten beiden Unfällen natürlich noch Spekulation, aber die Hinweise auf Pilotenfehler verdichten sich in beiden Fällen sehr stark.
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Timur
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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von Timur »

Ich finde deine Betrachtung extrem oberflächlich.
Erstmal Danke für die Antworten. Meine Betrachtungen sind sehr selten oberflächlich. Ich habe die Frage nach der Sicherheit bewusst recht offen gestellt. Zudem würde ich natürlich in beide Flugzeugmuster ohne Bedenken einsteigen. Weswegen ich die Frage hier überhaupt zu stellen wagte, war tatsächlich dieses SUBJEKTIVE Gefühl, dass Meldungen über ATR Katastrophen häufiger zu sein scheinen und ich auf die schnelle keine wirklich Aussagekräftige Tabelle/Statistik finden konnte, die meine Gefühle verifizieren oder falsifizieren konnte.

Aber ja, die Sache mit den hauptsächlichen Betreiber-Regionen der ATR und der Q400 stimmt natürlich. Die Q400 sind erheblich teurer und daher in Schwellenländern sicherlich weniger populär. Gleichzeitig ist dort das generelle Sicherheitsniveau manchmal nicht immer ganz auf dem wünschenswertesten Stand.
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Taliesin
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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von Taliesin »

Timur hat geschrieben:Weswegen ich die Frage hier überhaupt zu stellen wagte, war tatsächlich dieses SUBJEKTIVE Gefühl, dass Meldungen über ATR Katastrophen häufiger zu sein scheinen und ich auf die schnelle keine wirklich Aussagekräftige Tabelle/Statistik finden konnte, die meine Gefühle verifizieren oder falsifizieren konnte.
Ich finde, dass auch eine simple Statistik eigentlich nicht ausreicht. Die Statistik fragt nur nach der Häufigkeit, nicht nach dem Warum.
Wenn es einem nur darum geht zu gucken wie sicher man ist, wenn man in eine ATR einsteigt, also die Sicherheit des Gesamtsystems Airline-Maintenance-Pilot-Wetter-Flugzeug zu beurteilen, dann sind die Statistiken sicherlich sinnvoll, weil es dem verunglückten Passagier sicherlich egal ist, ob der ATR-Pilot schuld hat, das Wetter oder das Flugzeug.

Wenn man die Sicherheit des Flugzeugs beurteilen will, dann wird es deutlich schwieriger, weil man die Statistik interpretieren muss und es auf die Umstände der Abstürze ankommt.
Generell ist es so, dass die Zeit der Abstürze aus rein technischer Ursache heraus sicherlich vorbei ist, egal bei welchem Flugzeugtyp.

Ich würde es eher andersrum sagen, Flugzeuge sind heute so sicher, dass sie selbst technsiches Versagen, das weit über die Zulassungskriterien hinausgeht (QF32) ertragen können, ohne dass es zum Absturz kommt.
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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von MD-80.net »

Sehr schöner Thread, den ich erst jetzt entdecke und angenehme Beiträge!
Die Q400 sind erheblich teurer und daher in Schwellenländern sicherlich weniger populär.
Die erheblich höhere Leistungsfähigkeit der Q400 wird von vielen möglichen Kunden nicht wirklich benötigt bzw. stehen die höheren Kosten nicht im Verhältnis zu den potentiell höheren Erträgen. Hier kann nach Meinung der Mehrheit eine ATR72 zu teilweise erheblich geringeren Gesamtbetriebskosten deutlich effizienter eingesetzt werden. Der kommerzielle Verkaufserfolg der ATR72 versus Q400 spiegelt auch die Tendenz wider, dass für die Mehrheit die ATR als Gesamtpaket die praktikablere Lösung ist. Hier zeigt sich aber auch immer wieder, dass die Q400 bei bestimmten Streckenprofilen ihre höhere Leistung auch ausspielen und hier unter optimalen Bedingungen sogar eine weitere Rotation pro Arbeitstag eingebaut werden kann. Auch ermöglicht die Q400 auch längeren Routen eine spürbare Reisezeitersparnis gegenüber einer ATR.

Die höhere technische Komplexität der Q400 hat meiner Meinung nach ebenfalls Einfluss. Die Q400 ist nicht nur eine "gestreckte Dash 8". Fluglinien, die so dachten, hatten auch tendenziell mehr Probleme mit der Q400 als die Unternehmen, die ihre einst neuen Q400 als "neues Modell" betrachteten und nicht mit ihren Dash 8 gleichstellten.

Auch glaube ich, dass Einsatzprofile, Regionen und Betreiber einen Einfluss auf die "Unfallstatistik" haben können. Eine Boeing 737 zwischen Sydney und Melbourne erlebt insgesamt betrachtet ruhigeres Wetter als eine Boeing 737, die regelmäßig durch Monsungebiete fliegen muss. Die Unfallstatistik der Fokker F28 kann als "schlecht" bezeichnet werden. Bei näherer Betrachtung fällt aber auf, unter welchen Umständen Fokker F28 einst eingesetzt wurden und dieser Typ in Gebieten eingesetzt wurde, wo die F28 als eher simples Modell schon das Maximum darstellte.
Generell ist es so, dass die Zeit der Abstürze aus rein technischer Ursache heraus sicherlich vorbei ist, egal bei welchem Flugzeugtyp.
Das sehe ich genauso.
Gleichzeitig ist dort das generelle Sicherheitsniveau manchmal nicht immer ganz auf dem wünschenswertesten Stand.
Konkret auf Taiwan bezogen, so gab es in den 1990ern erhebliche Zweifel an der Infrastruktur und Überwachung von Sicherheitsstandards. Eine der Schritte war eine behördlich geforderte Zusammenlegung von kleineren Fluglinien. Das explosionsartige Wachstum und ein erbarmungsloser Preiskampf (schlicht Dumping!) führte zusätzlich auch Zweifel an der finanziellen Stabilität solcher Unternehmen. Als Sahnehäubchen kamen noch kulturelle Sicht- und Verhaltensweisen hinzu, eine in Teilen Asiens stark ausgeprägte Form des Respekts gegenüber ranghöheren Piloten - im Zweifel mischte sich der jüngere Pilot nicht ein, auch wenn er einen Fehler bemerkte. Die Zusammenarbeit von Piloten im Cockpit war somit oft bescheiden und der Sicherheit nicht dienlich. In den 1990ern stand der kommerzielle Erfolg und Gewinn/Erhalt von Marktanteilen im Vordergrund. Eine große Ausnahme war hier die EVA Air, die als neues Unternehmen mit starkem Hintergrund (Evergreen Group) nach eher westlichen Standards hochgezogen wurde und von Anfang sehr viel Wert auf einen professionellen Flugbetrieb legte. Im Grunde machte EVA Air alles anders, was bei China Airlines nicht so gut lief.
Oder noch ein anderes Beispiel: Wenn man die Anzahl der Flugstunden heranzieht, dann ist die DC-10 sicherer gewesen als die B747.
Ja, solche Informationen las ich auch mal. Die ganz große Mehrheit der Fluglinien war auch mit der DC-10 sehr zufrieden und dies spiegelte sich auch in den recht langen Einsatzzeiten wider. Auch spürbar war eine hohe Popularität der DC-10 bei Crews. Die Passagierakzeptanz litt ab Ende der 1970er. Dies lag aber nicht am Reiseerlebnis selber. Die DC-10 war ein für Passgaiere sehr angenehmes Flugzeugs, hatte aber einen katastrophalen Ruf in den Medien. Letztlich war der Ruf so schlimm, dass McDonnell Douglas die Entscheidung traf, ihre Initialen "DC" ab Mitte 1983 auf "MD" zu ändern. Die Tragweite des sehr schlechten Image wurde meiner Meinung nach von McDonnell Douglas sehr unterschätzt. Die PR-Abteilung wirkte zeitweise hilflos und daran änderten auch die Zahlen nichts, die für die DC-10 sprachen. Besonders der Absturz der DC-10 von American Airlines und ihre Folgen + das Unglück am Mount Erebus mit einer DC-10 der Air New Zealand waren verheerend für das DC-10-Programm.
Ob die ATR wirklich schwieriger zu fliegen ist, würde mich aber auch mal interessieren.
Ich kenne mich nicht aus, las aber öfter, dass die ATR vom Grundcharakter her eher "träger" ist, ein Lastesel, ein VW Golf 2. Sitze ich in so einem Auto am Steuer, erkenne ich bald die Grenzen (noch eher in einem Fiat Panda 8) ). Ich fuhr selber noch nie einen Porsche, müsste aber eben halt "umdenken" und könnte nicht einfach so losfahren. Eine Q400 wird oft als "agiler" bezeichnet.
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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von Sören »

Es gibt hier einen sehr interessanten Vergleich zwischen der ATR72 und der Q400. Ist sehr lesenswert: http://theflyingengineer.com/aircraft/p ... -vs-atr72/
Viele Grüße, Sören

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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von MD-80.net »

Ja, dieser Artikel ist wirklich lesenswert, danke für den Link!
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Re: Sind ATR Turboprops unsicherer als Q400 und Jets?

Beitrag von MD-80.net »

Hier ein weiterer Link zu einer JACDEC-Analyse:

http://www.jacdec.de/Jacdec-Analysis/20 ... C84new.pdf

LG
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