Ich habe täglich mit Leuten zu tun, die offenbar überhaupt keinen Bock mehr auf ihren Job haben, weil sie einfach komplett überlastet sind. Und das nicht nur gewerblichen Berufen.
Du bringst es treffend auf den Punkt. Ab und an poppt Medieninteresse hoch, aber es liegt meiner Ansicht nach ein systematisches Arbeitswelt-Problem vor, da stetig und gekoppelt mit einer Angstkultur die Bedingungen verschlechtert wurden. Spürbar ist es eigentlich – wenn man genau hinschaut – in vielen Bereichen, nicht nur am Flughafen. Als Anfang der 1990er eine Serie von schweren Orkanen Westeuropa verwüstete, fielen auch viele Bäume um und der ÖPNV war beeinträchtigt. Man hatte aber „Trupps“, die erheblich zügiger die Störungen beseitigt haben. Man hat viele Dinge gekürzt. Darum bricht auch der Flugverkehr schnell zusammen, wenn 3 Zentimeter Schnee fallen oder Mitarbeiter in Mobilfunkshops derart schlechte Verträge erhalten, dass es schon fast Pflicht ist, einer Oma fünf Verträge inklusive Internetflat zu verkaufen, obwohl sie gar kein internetfähiges Handy hat.
Schließlich muss die Provision stimmen und die Erwartung der Zentrale pro Tag XX Verträge an Land zu ziehen. Alle die alten Mitarbeiter (die einst als Teilzeitkräfte deutlich mehr verdienten als heute eine Teilzeitkraft), verließen entweder normal ihren Job, wurden durch Abfindungen wegrationalisiert und hartnäckige Altmitarbeiter werden so eingeteilt, dass sie vormittags in Stade eine Filiale besetzen und dann nachmittags in Schnelsen sein müssen, wobei die Fahrtzeit so gelegt wird, dass man dann erfreulicherweise dem Mitarbeiter vorwerfen kann, er hätte die Filiale nicht rechtzeitig am Nachmittag übernommen. Ha, wir können ihn kündigen! Diese Systematik auf Gewinnmaximierung und Ausbluten wird „uns“ irgendwann ganz gewaltig um die Ohren fliegen. Ich kann Menschen verstehen, die arbeitsmüde geworden sind, da sie trotz Vollzeit sowieso Altersgrundsicherung beantragen müssen. Es geht hier um eine steigende Anzahl von Bürgern, die unter erheblich schlechteren Bedingungen ihre Leistung erbringen sollen.
Aus eigener Erfahrung nehme ich somit tendenziell Meldungen ab, dass Mitarbeitern mit Kündigung gedroht wird.
Bei einem meiner letzten Arbeitgeber war es Teil des Systems, durch (auch umgesetzte) Drohungen eine Angstkultur zu schaffen. Ein Mitarbeiter mit Lungenentzündung schuftete, bis er zusammenbrach und dies in winterlicher Kälte. Er hatte Angst, gekündigt zu werden und als fast 60-Jähriger keine Chancen mehr auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Nicht eingehaltene Ruhezeiten (7 Uhr Dienstende, 14 Uhr wieder da sein) wurden durch verlogene Erklärungen legitim der Zentrale erklärt. Man arbeitete in Urlaubstage hinein (Nachtschicht ab 18 Uhr bis 6 Uhr, ab 6 Uhr Urlaubstag und bitte in Uniform ab nächstem Tag wieder ab 5 Uhr Diensteinteilung. Resturlaub musste ja ordentlich noch vergeben werden, bevor der Urlaubsantrag sowieso abgelehnt wurde.
Gott sei Dank habe ich diese ganzen Dienstpläne noch und das Pensum von 220 bis 255 Stunden Arbeitszeit pro Monat werden mir immer eine Lehre sein. Man hat es mit Filz unter verantwortlichen Personen zu tun, unfähigen Vorgesetzten, die weder eine Schulung in Personalführung hatten und es auch nicht gerne sahen, wenn man diverse Qualifikationen vorweisen konnte. Selbst bei der Lohnabrechnung musste man wegen fehlender Stunden hinter her laufen und bis heute habe ich kein Arbeitszeugnis erhalten.
Oft hört man, dass solche Bedingungen nicht existieren oder man selber Schuld hätte, wenn man sich solche Sachen gefallen lassen würde. Ich habe es mir nicht gefallen gelassen und mich weg beworben. Da es eine zunehmende Anzahl von Unternehmen gibt, die nur Bewerbungen von Arbeitnehmern akzeptieren, war es mir wichtig, mich aus einem Job zum anderen Job zu bewegen.
Selber kenne ich einen Bodenmitarbeiter (Gepäck/Treppe etc.) seit Jahren und er sagt privat nichts mehr dazu. Ihm fehlen die Worte. Natürlich schaut man gerne durch eine rosa Brille zurück, als "alles besser war". Es war nicht alles besser, aber man hat nicht schlechter gelebt oder ist verhungert, wenn um 18:30 Uhr die Geschäfte schlossen, die Fahrpreise nicht jährlich erhöht wurden und bis auf die Berufsgruppen mit Schichtdienst dann ein Großteil des Volkes wegen fehlender Privatsender sich die Schwarzwaldklinik anschaute.
Just my three cents