Damals in Finki - Die Spantax Fehllandung

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jannemann
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Damals in Finki - Die Spantax Fehllandung

Beitrag von jannemann »

Hier habe ich mal ein wenig "Stoff" zu einem Ereignis in der Hamburger Luftfahrtgeschichte zusammengestellt, das immer noch in aller Munde ist.

Falls jemand damals vor Ort war und weitere Infos oder gar Bildmaterial beisteuern kann, so ist derjenige herzlich dazu aufgerufen den Bericht zu ergänzen !

Man schrieb Mittwoch, den 31. Mai 1967

Das Flugzeug: Convair CV-990, EC-BJD, MSN 23, Delivered to American Airlines Apr. 1962, sold to Spantax 05.Mai 1967
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Flug: PMI - ZRH - HAM
An Bord: 128 Passagiere + 9 Crew
Kommandant: Rudolfo Bay, Gründer, Geschäftsführer und Chefpilot der Spantax.
Es besass mit 34.000 Flugstunden eine "epochale" Flugerfahrung, die ihm an diesem Tag sehr zu Nutze kam.
R. Bay
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Geschätzter Flugweg (Szenario aus Presseberichten entnommen):
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Es wird angenommen, dass Bay als Kommandant die CV-990 im Sichtanflug in Fuhlsbüttel landen wollte. Die Wetterbedingungen liessen dies zu.
Bay war zuvor noch nie in Hamburg gelandet. Als er von Süden kommend, die Werkspiste in Finkenwerder erblickte, hielt er sie für den Zielflughafen.
Ohne weitere Überprüfung wurde die Convair in einen steilen Sinkflug gebracht und auf die Pistenachse ausgerichtet. Der Towerlotse sah die vierstrahlige Maschine und griff zum Mikrofon, doch die Convair hatte die Towerfrequenz in Fuhlsbüttel eingestellt und konnte seine Warnung nicht hören.

Die Landung auf der Werkspiste 05 des Hamburger Flugzeug Bau (HFB) erfolgte um 13:51 Uhr. Die Piste war zu dieser Zeit nur 1.360 Meter lang.

Als Bay nach dem Touchdown erkannte, dass offenkundig einen viel zu kleinen Flugplatz vor sich hatte, war es für ein Durchstartmanöver bereits zu spät.
Wie man sieht, gelang es den Piloten rd. 150 Meter vor dem Nesskanal zum Stehen zu kommen. Glücklicherweise befand sich zu dieser Zeit kein anderes Flugzeug auf der Piste. Damals ging es noch sehr ruhig und beschaulich in Finkenwerder zu.
Ein fliegerisches Meisterstück wenn man bedenkt wie gross, schwer und schnell doch eine 990er war.
Photo: Abendblatt 01.06.1967
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Eine Skizze (Q: Abendblatt 01.06.1967)
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Bay bog am Bahende in den sehr engen Vorfeldbereich machte die Triebwerke aus. Ein sofortiger Start mit voller "Ladung" traute sich selbst der Tausendsassa Bay nicht und liess die Passagiere von Bord. Alle Passagiere verliessen unverletzt und ohne Panik den Flieger. Viele erfassten erst jetzt, dass sie nicht in Fuhlsbüttel waren. Sie wurden erstmal in der Werkskantine untergebracht.
Photo: Direktflug IGMetall, "Facts" -HFB 1988, R. Struve
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Photo: Der Spiegel Nr. 24/1967
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Gleichzeitig startete in Fuhlsbüttel ein Kleinflugzeug mit Pass und Zollbeamten an Bord, die die Einreiseformalitäten erledigen sollten. In Fuhlsbüttel fuhren mehrere Jasper-Reisebusse über die Elbfähre nach Finkenwerder, um die Fluggäste zum ZOB zu bringen. Als kurz vor 16:00 Uhr dann alle Fluggäste mitsamt ihrem Gepäck in den Bussen waren, liess Bay die Triebwerke wieder an.

Um 16:06 Uhr war das Gastspiel vorbei:
Die Convair startete in entgegen gesetzter Richtung auf der Piste 23. Es herrschte quasi Windstille an diesem Tag, somit entschied man sich nicht über die Start zu fliegen.Bay zog schon nach ca. 800 m die Nase hoch und mit Vollschub donnerte EC-BJD in den Himmel.
Photo: Abendblatt 01.06.1967
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Der Ferry Flug nach Fuhlsbüttel erfolgte ohne weitere Vorkommnisse.
Das Pikante: Am Zielort warteten seit Stunden mehre Reporter und Kameraleute auf den silbernen Spantax-Jet. Grund: Rudolfo Bay persönlich hatte zu einer Pressekonferenz eingeladen Warum ?
9 Tage zuvor erschien in der BILD-Zeitung ein langer Artikel mit dem Titel "Allzusehr in Gottes Hand" über die angeblich unzuverlässigen und unpünktlichen Charterfluggesellschaften. Ganz vorne auf der Negativliste stand die Spantax.
Bay wurmte diese -aus seiner Sicht - rufschädigende Berichterstattung und er unternahm den Flug zum Sitz des Verlagshauses Springer um die Presse eines Besseren zu belehren. Dies ging aber gründlich daneben.
Keine 2 Stunden später startete Bay in Fuhlsbüttel mit 80 Passagieren zurück nach Mallorca. Flugzeit 1 Std 57 Minuten. Mit ner 990er kein Problem..
Seitdem ist Hamburg um ein Kapitel Fluggeschichte reicher.
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747SP
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Re: Damals in Finki - Die Spantax Fehllandung

Beitrag von 747SP »

1a! Danke, Jannemann! :top:

Ich dachte die hätten damals die Sitze ausgebaut. Oder war das bei der BAC 1-11 (dein Auftritt Jan!) die auch mal in XFW gelandet ist? Ist nicht auch mal eine SAS DC-9 fast (?) in XFW gelandet?
Die Behörden scheinen das damals ja recht locker gesehen zu haben wenn Bay gleich wieder abfliegen durfte...
Übrigens sind die Convair-Jets, allerdings schon die CV880, ein Grund für Speedlimits in Airportnähe. Sie waren einfach zu schnell für andere Flugzeuge. Halt Jagdflieger mit Sitzen. :shock:

Cheers!
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Spottico
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Re: Damals in Finki - Die Spantax Fehllandung

Beitrag von Spottico »

WOW!

Geschichtsunterricht par excellence! GERNE mehr davon! :top:

- spottico -
tg924
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Re: Damals in Finki - Die Spantax Fehllandung

Beitrag von tg924 »

@Jannemann
In der Tat,danke fürs einstellen. :top: Doch schon sooo lange her. Wie auch @747SP anreisst scheinen da aber Details zu verblassen oder sich schon vor längerem falsch festgesetzt zu haben, z.B. Ausbau der Sitze und gegebenenfalls weiterer vernachlässigbarer Einrichtung um das Startgewicht zu drücken.
jannemann hat geschrieben: Kommandant: Rudolfo Bay, Gründer, Geschäftsführer und Chefpilot der Spantax.
Es besass mit 34.000 Flugstunden eine "epochale" Flugerfahrung, die ihm an diesem Tag sehr zu Nutze kam.
Ist das nicht eher peinlich? Hätte ihn seine gigantische Erfahrung nicht daran hindern müssen,überhaupt erst in solch eine Situation zu gelangen. Zumindestens hat man Probleme den verantwortlichen Piloten seitens der Gesellschafft auf den Topf zu setzen, wo er doch selbst der Oberboss ist.
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Seeadler
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Re: Damals in Finki - Die Spantax Fehllandung

Beitrag von Seeadler »

@Jannemann
Vielen Dank, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, diesen tollen Bericht zusammenzustellen! :top:

Es ist wirklich sehr interessant, über dieses Ereignis zu lesen, dass eindeutig vor meiner Zeit stattgefunden hat.

Gruß, Carsten
jannemann
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Re: Damals in Finki - Die Spantax Fehllandung

Beitrag von jannemann »

@tg924:
Alles focussiert sich auf Bay. Man könnte z.B. auch fragen, was denn sein Copilot zum erfolgreichen Gelingen des Fluges beigetragen hat ?
Bay kam allerdings aus einer Zeit in der der Kommandant eine unangefochtete Autorität darstellte, dessen Entscheidungen nicht zu hinterfragen waren.

Bay hat als Afrika Flieger im 2.Weltkrieg viele brenzlige Situationen allein gemeistert, was ihm das nötige Selbstvertrauen gab.
Aus heutiger Sicht ist es ebenfalls undenkbar, dass im Cockpit Arbeitgeber und Arbeitnehmer nebeneinander sitzen.
Zu gross ist dass Abhängigkeitsverhältnis, zu gross die Hemmschwelle eines Angestellten Copiloten gegen seinen (im doppelten Sinne) Vorgesetzten aufzubegehren.
Bay war ein Fan der Convair 990, die er in und auswendig kannte. Dass die Radbremsen exzellent funktionierten bewies er zumindest. :D

<<Es ist wirklich sehr interessant, über dieses Ereignis zu lesen, dass eindeutig vor meiner Zeit stattgefunden hat.>>
Der Autor war zum Zeitpunkt dieses Ereignisses ebenfalls erst minus 0,5 Jahre alt... :wink:
Ich bin ein leidenschaftlicher Sammler alter Relikte aus vergangenen Luftfahrt-Epochen. Das WWW erleichtert da einiges..
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paraglider
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Re: Damals in Finki - Die Spantax Fehllandung

Beitrag von paraglider »

Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, diesen Thread nicht mit Spam zu beglücken. Aber nun denn: Vielen Dank Jan für Deine Zeilen und dass Du die Zeitschriftenartikel aus Deinem Archiv gesucht und aufbereitet hast! :top:

Am interessantesten finde ich an der ganzen Geschichte, dass man die allgemein kursierenden Stories über die angebliche "Erleichterungsmaßnahmen" beim Start nun getrost in das Reich des Sagen und Legenden verschieben kann. Nur: wer hat sich diese Geschichten ausgedacht??? Ich vermute mittlerweile, dass es ein paar Wichtigtuer aus der Zeit +/- 1-2 Jahrzehnte nach dem Ereignis waren...

BTW: bin ca 0,3 Jahre älter als das Ereignis (insofern Zeitzeuge), kann mich aber selbst auch nicht mehr dran erinnern. Kommt wohl davon, wenn man die Anreise nach Finki scheut und immer nur in Fuhlsbüttel abhängt... 8)
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